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1939 - Der Krieg, der viele Väter hatte

Der lange Anlauf zum Zweiten Weltkrieg, Olzog-Edition

Erschienen am 20.11.2019, Auflage: 11/2019
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783957682109
Sprache: Deutsch
Umfang: 736 S., 55 s/w Illustr., 55 Illustr., Abbildungen
Format (T/L/B): 5 x 24.7 x 18 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Was hat die Generation meines Vaters dazu bewogen, nur 20 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg Adolf Hitler in einen neuen Krieg zu folgen? Die ­Suche des Autors nach einer Antwort führt zu überraschenden ­Ergebnissen. Dokumente beteiligter Außenministerien, Notizen und Memoiren ­polnischer, englischer, französischer, italienischer und amerikanischer Regierungschefs, Minister, Diplomaten und ­Armeeoberbefehlshaber belegen: Es war eine ganze Anzahl von Staaten, die den Zweiten Weltkrieg angezettelt haben. Zusammenhänge werden deutlich, die bislang schlichtweg übergangen wurden. »Dieser Krieg«, so Schultze-­Rhonhof, »hatte viele Väter«. Es geht also um die Mitverantwortung der oben ­genannten Staaten! Vieles in unserer deutschen Geschichte zwischen 1919 und 1939 ist ohne Kenntnis des zeitgleichen Geschehens in anderen Ländern nicht zu verstehen, zu eng greifen oft Wirkung und Wechselwirkung in­einander. Doch es ist nicht allein die zeitgleiche Geschichte unserer Nachbarvölker, die den Kriegsbeginn beeinflußt hat, es ist auch - und das nicht unerheblich - die gemeinsame Vorgeschichte der streitenden Parteien. Der israelische Botschafter in Bonn, Asher ben Nathan, antwortete in einem Interview auf die Frage, wer 1967 den Sechs­tagekrieg begonnen und die ersten Schüsse abgegeben habe: »Das ist gänzlich belanglos. Entscheidend ist, was den ersten Schüssen voraus­gegangen ist.« So hat fast jede Geschichte ihre Vorgeschichte.

Autorenportrait

Gerd Schultze-Rhonhof, Generalmajor a. D. und zuletzt Territorialer Befehlshaber für Niedersachsen und Bremen, verließ 1996 aus Protest gegen das »Soldaten sind Mörder-Urteil« des Bundesverfassungsgerichts die Bundeswehr und ist seitdem als Publizist tätig.

Leseprobe

Vorwort Zu Beginn möchte ich vier Dinge erwähnen. Das sind die Idee des Buchs, ­etwas zu den Quellen und zur Gliederung des Buchs sowie zur Einordnung seines ­Inhalts in das Zeitgeschehen. Zuerst die Buchidee. Vor ein paar Jahren beschäftigte mich die Frage, welcher Teufel meine Vätergeneration geritten haben mag, als sie nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs einen neuen Krieg vorbereitet und begonnen hat. Ich ­dachte dabei anfangs nur an die deutschen Väter. Die Ergebnisse der Nürnberger Pro­zesse ließen das ja auch zunächst vermuten. Auf der Spurensuche stieß ich allerdings auf vieles, das mir so bis dato nicht bekannt gewesen war. Das war vor allem der Kontext des damaligen Weltgeschehens. Die übliche deutsche ­Geschichtsschreibung, vom gängigen Schulgeschichtsbuch bis zu den Standardwerken des Militärgeschichtlichen Forschungsamts, blendet diesen Kontext - aus welchem Grund auch immer - fast zur Gänze aus. So las ich auf der Spurensuche erstmals in ausländischer Literatur, in welchem Umfeld es zum Zweiten Weltkrieg kam. Die Vorgeschichte dieses Krieges gleicht einem Kriminalroman; zu meiner Überraschung einem Krimi mit nicht nur einem, sondern vielen Tätern. Meine zweite Vorbemerkung gilt der Literatur- und Quellenlage. Je nach Auswahl von Literatur und Quellen entstehen recht unterschiedliche Bilder der ­Geschichte. Die in Deutschland verbreitetste Geschichtsschreibung konzentriert sich auf die deutsche Vergangenheit und wählt danach die Quellen aus. Doch ­diese Konzentration verengt den Blick zu einer Tunnelperspektive, und sie läuft Gefahr, die internationalen Gebräuche und Strömungen der beschriebenen ­Epochen auszublenden. Sie zerstört die Zusammenhänge, in denen die Vergangenheit der Deutschen stattgefunden hat. Das gilt in besonderem Maße für die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs. Zudem trifft die hierzulande übliche Geschichtsschreibung aus offensichtlich politisch-erzieherischen Gründen fast immer eine Quellenauswahl mit Negativ-­Beispielen deutscher Vergangenheitsereignisse. Sie konzentriert sich auf die Überlieferung der Fehlleistungen, Irrtümer und Verbrechen des deutschen Volks im 20. Jahrhundert. Die Beispiele von Normalität, von Menschlichkeit und von positiven Leistungen bleiben fast immer ausgeblendet. Damit verbreiten sich ein verzerrtes Bild der eigenen Geschichte und ein neurotisches Verhältnis der Deutschen zu sich selbst. Auch ausländische Literatur ist kein Quell der absoluten Wahrheit. Engländer, Franzosen, Amerikaner und Sowjets neigen, wie andere Nationen, zur Selbstdarstellung und zur Rechtfertigung des eigenen Handelns. Trotzdem waren sie für mich bei meiner Arbeit gute Fährtenleger. Das Problem, vor dem ich bei der Spurensuche stand, war, daß die meisten Quellen eine Absicht transportieren. Da sind die Zeitzeugen, deren Berichte vor 1939 anderes melden als ihre Memoiren nach 1945. Da sind die offiziellen Dokumentenbände, die heiße Ware unterschlagen, zum Beispiel die Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik (ADAP), die ich zunächst für authentisch hielt, weil sie in den 50er Jahren als die amtliche Dokumentation des Auswärtigen Amts in Bonn veröffentlicht worden sind. Erst später fiel mir auf, daß diese Nachkriegsausgabe der Akten des deutschen Auswärtigen Amts von amerikanischen, englischen und französischen Wissenschaftlern und Archivaren herausgegeben worden ist. Es darf nicht wundern, daß die Akten dabei zu Gunsten der Sieger ausgewählt und auch gewaschen worden sind. Da sind auch die vielen Memoiren und Dokumente, in denen ich Auslassungen, Überarbeitungen, Fälschungen und pro-domo-Interpretationen fand. Als dritte Vorbemerkung möchte ich etwas zur Gliederung des Buches sagen. Bei dem Bemühen, Zusammenhänge aufzuzeigen, habe ich vieles nicht nach seinen Zeitabläufen sondern nach den Querbezügen dargestellt, z.B. nach­einander den Umgang der Polen mit den Russen, mit den Briten, mit den Deutschen usw. Da viele der verschiedenen Querbezüge und Zusammenhänge in denselben ­Zeitabschnitten stattgefunden haben und dieselben geschichtlichen ­Ereignisse berühren, sind zahlreiche Wiederholungen im Text nicht zu vermeiden. Das mag den einen Leser stören, dem anderen ist es vielleicht eine willkommene Gedächtnis­stütze bei der großen Zahl beschriebener Ereignisse. Die letzte Vorbemerkung gilt der Einordnung des Themas in das Zeitgeschehen. Unser deutsches Geschichtsbewußtsein, soweit es die Zeit der national­sozialistischen Herrschaft betrifft, ist von der grauenhaften Seite des damaligen ­Regimes geprägt. Wir können kaum über diese Zeit berichten, ohne an den Untergang der Rechtsstaatlichkeit im Lande und ohne an die grausame Ermordung von ­Juden und Angehörigen anderer Minderheiten zu denken. Die Erinnerung an die Verbrechen im Auftrag der damals eigenen Regierung legen sich wie ein düsterer Schatten auf die betrachtete Epoche. Der Nationalsozialismus als Leit­idee des damaligen Regimes und der Untergang des Parlamentarismus nach 1933 haben sicherlich Voraussetzungen geschaffen, die es Hitler erleichtert haben, 1939 einen Krieg gegen Polen zu eröffnen. Doch beides hat den Zweiten Weltkrieg nicht verursacht. Von der Verfolgung der Juden im damaligen Deutschland ist Ähnliches zu sagen. Sie hat zwar das Engagement Amerikas gegen das nationalsozialistische Deutschland gestärkt, aber sie hat den Zweiten Weltkrieg nicht verursacht. So sind der Unrechtsstaat und selbst der spätere Mord an Minderheiten nicht Ursache und Anlaß für den Krieg gewesen. Sie sind deshalb auch nicht der Untersuchungsgegenstand des Buchs und nicht sein Thema. Ich will vielmehr versuchen zu beschreiben, was 1939 zum zweiten Streit der Völker innerhalb von 25 Jahren führte. Bei streitenden Parteien liegt es nahe, sie alle miteinander zu betrachten. Vieles in unserer deutschen Geschichte zwischen 1919 und 1939 ist ohne Kenntnis des zeitgleichen Geschehens in anderen Ländern nicht zu verstehen, zu eng greifen oft Wirkung und Wechselwirkung ineinander. Doch es ist nicht allein die zeit­gleiche Geschichte unserer Nachbarvölker, die den Kriegsbeginn beeinflußt hat, es ist auch - und das nicht unerheblich - die gemeinsame Vorgeschichte der strei­tenden Parteien. Der israelische Botschafter in Bonn, Asher ben Nathan, hat einmal in einem Interview in der Fernsehsendung DIE WOCHE IN BONN auf die Frage, wer 1967 den 6-Tage-Krieg begonnen und die ersten Schüsse abgegeben habe, geantwortet: Das ist gänzlich belanglos. Entscheidend ist, was den ersten Schüssen vorausgegangen ist. So hat fast jede Geschichte ihre Vorgeschichte. Der Kriegsbeginn von 1939 ist ohne die Person des Diktators Hitler nicht zu ­begreifen. Hitler und die Bereitschaft der Deutschen, ihm in den Krieg zu folgen, sind ohne den Vertrag von Versailles unverständlich. Die allgemeine Empörung des deutschen Volkes über Versailles ist ohne die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs nicht zu verstehen. Und auch diese Vorgeschichte kann man nur begreifen, wenn man das Konkurrenzgebaren der großen Staaten im Europa des 19. Jahrhunderts kennt. Das Buch wird deshalb einen langen Anlauf nehmen müssen Gerd Schultze-Rhonhof, Januar 2003 Vorwort zur 9. Auflage Nach mehreren Zehntausend verkauften Exemplaren und dem Erscheinen ­einer englischen Übersetzung des Buchs halte ich es für angebracht, die 9. Auflage mit einem neuen Vorwort einzuleiten. Im Vorwort zur 1. Auflage habe ich ­meine ­Motive dargelegt, dies Buch zu schreiben. Nun möchte ich ergänzend mit ein paar Gedanken zu dem ungleichen Paar Wahrheit und Geschichtsschreibung beginnen. Die Zustimmung, die mich ein paar Hundert Leser mit ihren Briefen haben wissen lassen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Inhalt des Buchs der Mehrheit aller Deutschen und Österreicher nicht gefällt. Er widerspricht zu sehr dem, was sie über die Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ­wissen, und er verträgt sich schlecht mit ihrem politischen Bewußtsein. Doch auch zwei Jahrhunderte lang wußten die Gebildeten Europas noch immer, da...